Kellinghusen – Schmerzen, Schweiß und Sauerstoffmangel – nach zwei Stunden Lesung fühle ich erst einmal eines: Ich bin fast so fertig wie der Vortragende selber am Ende seiner Tour, nachdem er gerade aus seinem Buch gelesen hat, wie er den höchsten Berg Afrikas in sieben Tagen bestiegen hat.
Das scheint nämlich zu gehen – den Kilimandscharo ohne bergsteigerische Kenntnisse geradezu zu „erwandern“ – ist aber überraschenderweise schon beim Zuhören so anstrengend, dass mir ganz spontan erst einmal selber die Luft weg geblieben ist.
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen entfaltete die Lesung des „PEP“-Vorsitzenden Oliver Zantow im Kellinghusener Bürgerhaus eine Faszination beim Zuhören, der man sich über die ganze Zeit hinweg nur schwer entziehen konnte.
Das lag vor allem an seiner lebendigen, ganz nah am Geschehen und seinen eigenen Eindrücken angelegten Schilderung, die er auch noch mit eindrücklichen Fotos bebilderte. Die hatte er bei seiner Besteigung selbst geschossen.
Zunächst überwiegen hier die Verlockungen und die Faszination der Natur. Mit seinen 5895 Metern ist der „Kili“ kein Kaliber der 8000er wie der Mount Everest oder K2, soviel war klar. Aber seine Alleinstellung als höchster frei stehender Berg der Welt und höchste Erhebung Afrikas lassen einiges erwarten.
Da keine bergsteigerischen Fähigkeiten vorhanden sein müssen, um da herauf zu kommen, ist mittlerweile ein regelrechter Bergtourismus entstanden. 150.000 Menschen sollen es pro Jahr sein, die auf den Berg steigen – oder laufen. Was zeigt: Für den halbwegs gut vorbereiteten Durchschnittseuropäer ist eine Besteigung durchaus möglich.
So war es für den Kellinghusener Oliver Zantow (57) nur eine Frage der Zeit und eigentlich schon fast eine Verpflichtung, bis auch er den Weg zum Gipfel Afrikas wagte; zumal er sich seit Jahrzehnten ja bereits in Tansania engagiert und mit „Rafiki“ einen Hilfsverein gegründet, vor Ort eine Schule gebaut und zahlreiche weitere Hilfsprojekte initiiert hat.
Durch seine Erlebnisse und Eindrücke, die er bei dieser Besteigung gesammelt hat, ist sein Buchtitel „Was für ein Wahnsinn – Die Besteigung des Kilimandscharo zwischen Pathos und Wirklichkeit“ nur allzu verständlich.
Das kam im Herbst vergangenen Jahres heraus und ist somit quasi noch druckfrisch, auch wenn der Autor es bereits in einigen Lesungen auszugsweise vorgestellt hat, zuletzt im Raum Schleswig. Nun war es ihm aber auch ein Bedürfnis, wie er sagt, es in Kellinghusen zu präsentieren.
In seinem etwas über 100 Seiten starken Werk beschreibt und reflektiert er mit einer Prise Selbstironie, wie dies auch schon im Titel deutlich wird, seine Erlebnisse. Und die Werbung sowie ein ankündigender Zeitungsartikel schienen ihre Wirkung getan zu haben: Etwa 40 Zuhörer fanden sich im Bürgerhaus ein, um dem Erlebnis beizuwohnen, und sorgten für einen gut gefüllt scheinenden Saal.
Dafür schuf er zunächst einmal eine angenehme Leseatmosphäre. Das Publikum rund um aneinander geschobene Tische platziert, darauf Gläser und Karaffen mit Wasser.
Der Autor in beige-brauner Lederjacke über schwarzem Oberhemd fast in afrikanischem Safari-Look gekleidet, hatte neben einer Leselampe Platz genommen und sein in Hardcover gebundenes Buch vor sich. Neben ihm stand sein Laptop, auf dem er seine Fotos gespeichert hatte und deren Übertragung auf die Leinwand er von da aus steuern konnte.
Während der Schilderung seiner Wanderung war es im Publikum mucksmäuschenstill. Denn diese war erzähltechnisch gelungen. Bei seinen Überlegungen nahm der Bergwanderer seine Zuhörer direkt mit auf seine Reise, und auch ich fühlte mich, als wenn ich selbst mit gelaufen wäre.
In einer Art persönlichem Bewusstseinsstrom schilderte der Autor vornehlich seine Eindrücke und Empfindungen, die er auf dem Weg machte. Und kombinierte diese mit der Beschreibung von Strecke, Natur und Umgebung und nahm dabei auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um die eigene Verfasstheit, sprich Gesundheit, und den Gemütszustand ging, mit denen es auf der Wanderung nicht immer zum Besten bestellt war.
Höhe, Sonne, Kälte und Sauerstoffmangel taten ihre Wirkung. Immer wieder standen die körperlichen Schmerzen, die Luftknappheit und seine eigenen Einschränkungen im Mittelpunkt, die seine Reise schon fast beendet hatten, bevor sie überhaupt losging. Denn eine Gallenkolik zwang ihn kurz vor dem Unternehmen beinahe in die Knie, entgegen dem Rat zweier Ärzte trat er es dennoch an.
Auf dem Weg stellte er immer wieder ganz grundlegende Überlegungen an, die wohl auch jeder Radfahrer, Triathlet oder Extremwanderer kennt: Wie weit ist es noch bis zum nächsten Lager, wann kann er endlich schlafen oder Schlaf nachholen, was macht er gegen Kälte oder brennende Sonne, wie geht er mit zerschlissenen oder gefrorenen Füßen um – und wann kriegt er endlich etwas zu Essen und zu Trinken?
Spätestens in dem Augenblick bekam ich auch Hunger und Durst, weil ich mich mittlerweile ebenso völlig entkräftet fühlte… und die Intensität, in der Teile des Publikums ihr Wasser während des Lesens nachfüllten, ließ bei ihnen Ähnliches erahnen.
Auch des Autors anfänglich recht zügiger Lesefluss normalisierte sich im Laufe des Abends deutlich, so dass das Zuhören mit dem Fortschreiten der Bergbesteigung ebenso nachvollziehbarer wurde.
Weniger erhielt der Zuhörer harte Fakten und Informationen über die geografischen, biologischen oder sozialen Gegebenheiten vor Ort, das machte aber auch nichts, denn das war auch gar nicht sein Anspruch. Letzlich wurde es ein ganz persönlicher Ausweis seiner eigenen Verfasstheit bei einem außergewöhnlichen Erlebnis.
Hatte man sich als Zuhörer anfänglich hier und da noch mit dem Gedanken getragen, solch ein Abenteuer vielleicht selbst einmal einzugehen bei der hier auch demonstrierten landschaftlichen Schönheit, so konnte einem die Idee aber mit Blick auf die geschilderten körperlichen und auch psychischen Strapazen auch ganz schnell wieder abhanden kommen.
Andererseits wollte ich, je mehr er davon schilderte, umso mehr auch hören. So habe ich gar nicht bemerkt, wie die zwei Stunden vorüber gingen, als er retrospektive endlich wieder unten im Hotel angekommen war.
lh
Bildunterschrift:
Bergbesteigung des Kilimandscharo vor ortsüblicher Kulisse (von links): Giraffen am Kilimandscharo, Oliver Zantow während der Lesung und der gut gefüllte Saal im Kellinghusener Bürgerhaus. Fotos: Oliver Zantow (links) und Ludger Hinz (2).