Kellinghusen – Corona, Ukraine, Preise – im Moment ist alles anders, manches verwirrend – und vieles neu. So musste sich auch das „PEP“-Publikum in diesem Jahr umgewöhnen, geriet der Jahresanfang doch anders, als ursprüngich gedacht.
Denn eigentlich hatten sich alle schon darauf eingestellt, dass das neue Konzertjahr wie bereits seit längerem gewohnt mit einem bluesig-beschwingten Neujahrskonzert begonnen wird – mit einem Auftritt der Hildesheimer Band „The Blues Guys & The Guinness Horns“.
Nun musste sich das Publikum ja schon in den vergangenen beiden Jahren damit anfreunden, dass es wegen der Pandemie gar kein Neujahrskonzert gab, und auch jetzt, wo es wieder statt finden konnte, musste es anders gestaltet werden, als eigentlich vorgesehen. Denn die Band ist aus Krankheitsgründen ausgefallen, wie die Veranstatler bedauerten.
So musste „PEP“ sich etwas Neues ausdenken – und hat für hochwertigen Ersatz gesorgt, der allerdings aus einer ganz anderen Musikrichtung kam. Statt des beschwingten Blues‘ in der Ulmenhofschule spielte der Klezmer-Musiker Giora Feidman mit Ensemble in der Störstadt seine auf ganz andere Art beschwingte Klezmer-Musik; und das auch nicht in der eigentlich angestammten Ulmenhofschule, sondern in der Kellinghusener Kirche.
Konnte das gut gehen? Eine seit Jahren eingespielte Tradition mit ihrem festen Publikum zu verändern? Man durfte gespannt sein. Schon im Vorfeld machte der Vorsitzende Oliver Zantow darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Musiker um einen „absoluten Weltstar“ in seinem Metier handele, der sonst ganze Hallen füllt und seine aktuelle Tour durch Deutschland dementsprechend in der Berliner Philharmonie startete.
Nun ist die Klezmer-Musik in diesen Breiten der norddeutschen Tiefebene und der Störniederungen nicht gerade stark verbreitet, so dass im Vorfeld die Befürchtung mangelnder Publikumsresonanz aufkam. Nach diversen Ankündigungen, einem Zeitungs-Interview mit dem Interpreten und einiger Werbung füllte sich die Kirche dann doch noch recht ansehnlich. Knapp 150 Besucher besetzten die Bänke bis in die hintersten Reihen.
An diesem Ort zu spielen, sei auch der Wunsch des Künstler gewesen, so Oliver Zantow, und die Kirche passte vom Ambiente bis zur Akustik sowie der Feierlichkeit des Anlasses auch gut zu ihm. Nach eigenen Aussagen – auch in seinem Interview vor dem Konzert getätigt – fühle er sich dort sehr wohl, weil er einen „besonderen Geist“ spüre, wie er sagte. Hier fanden der Künstler und sein Ensemble darüber hinaus die richtigen akustischen Voraussetzungen vor, um solch ein hochwertiges Musikerlebnis vor Besuchern in einer angemessenen Größe präsentieren zu können.
Um sich der Qualität des Präsentierten zu nähern, ist ein genauerer Blick auf den Werdegang des Musiker hilfreich. Denn der mittlerweile 86-jährige „King of Klezmer“ feiert in diesem Jahr bereits sein 75-jähriges Bühnenjubiläum und hat einer umfangreichen musikalischen Ausbildung auch eine langjährige Karriere sowohl als Orchester- wie auch als Solokünstler hingelegt.
Nach seiner jahrelangen Tätigkeit als Bassklarinettist beim „Israel Philharmonic Orchestra“ hat Giora Feidman seit Jahrzehnten schon als Solokünstler weltweite Erfolge gefeiert. Der nach Israel ausgewanderte gebürtige Argentinier (Jahrgang 1936) verbringt seit Jahren aber auch lange Zeit in Deutschland. Mit seiner Musik ist er stetig um die jüdisch-deutsche Verständigung und Aussöhnung bemüht.
Ein Bestandteil seiner „Friendship Tour 2023“ ist auch Kellinghusen, auch wenn er, wie ebenso in dem Interview zuvor bereits geäußert, die Stadt aus eigener Anschauung nicht kennt, aber die norddeutsche Landschaft schätzt. Mit seinem Instrument trage er nach eigenen Worten eine „spirituelle Botschaft von Frieden, vom ‚Schalom‘, in die Welt“, und so kam das Schlüsselwort „Freudschaft“ auch immer wieder in seinen Ansagen vor.
Mit seinem kleinen, kammermusikalischen Ensemble aus Sergej Tcherepanov am Cembalo, der schon auf seiner aktuellen „Friendship“-CD mitgewirkt hatte, mit German Prenthi (Cello) und Pjotr Newiodomski (Violine) intonierte Giora Feidmann eineinhalb Stunden lang Klassiker jüdischer Klezmer-Musik; mal laut und fröhlich, mal leise und nachdenklich – mit einigen Gänsehaut-Momenten, so etwa beim Klassiker „Hallelujah“ von Leonard Cohen, den das Publikum mitsingen durfte – und schließlich leise summend ausklingen ließ.
Gelungener Höhepunkt wurde es zum Ende des Konzerts, als seine langjährige Freundin Miriam Grosberg, die auf der Tour dabei ist, auf die Bühne kam und das Ensemble in einem kurzen Gastauftritt in einem Stück an der Klarinette begleitete. Trotz seines fortgeschrittenen Alters präsentierte sich der Musiker weiterhin volksnah. Im Anschluss an das Konzert gab er noch neben dem Eingang – vorsichtshalber mit Maske ausgestattet – Autogramme für die interessierten Fans. (lh)
Bildunterschrift (v.l.n.r.):
Sonst eher selten, in Kellingusen aber machbar: ein Ticket für Giora Feidman in der Kirche mit freier Platzwahl.
Mit seinem Ensemble aus (v.l.) Sergej Tcherepanov am Cembalo, German Prenthi (Cello) und Pjotr Newiodomski (Violine) intonierte Giora Feidmann (2.v.r.) eineinhalb Stunden lang Klassiker jüdischer Klezmer-Musik.
Sagte zahlreiche seiner Klezmer-Titel an und benutzte dabei gemäß seines aktuellen Albums das Wort „Freundschaft“ sehr oft: Giora Feidman.
Fotos: Ludger Hinz