Kellinghusen – Das geht wohl vielen so: Wenn sie einkaufen gehen, stehen sie mindestens mit einem zwiespältigen Gefühl, wenn nicht gleich mit einem schlechten Gewissen vor dem Regal. Kaum haben sie sich über das eine Schnäppchen gefreut, plagt der Zweifel zu einer anderen Frage, der manchmal auch ganz ohne die preisgünstigen Angebote hervor gerufen wird: Wie hoch wäre der wahre Preis gewesen?
Denn man weiß oder ahnt es zumindest, dass günstige Waren oftmals durch einen hohen Tribut an menschlichem Leid oder zerstörter Umwelt erkauft werden – oder beidem. Die mögliche Alternative dazu wäre es, beim Einkauf nach Produkten suchen, die fair hergestellt wurden und ein Umweltsiegel enthalten, sofern man sich das leisten kann. Denn zur Wahrheit gehört in diesem Fall auch: Solcherlei Artikel sind fast immer um einiges teurer, als die konventionell hergestellten Waren, und das kann nicht jeder bewältigen, gerade jetzt bei den allgemein gestiegenen Preisen. Da tritt dann schnell das Phänomen des „Mind Behavior Gap“ ein, bei dem man etwas anderes tut, als man eigentlich möchte, weil man es sich beispielsweise nicht leisten kann.
Warum das aber so ist, welche höheren und weiter gefassten Gesetzmäßigkeiten dahinter stecken, welche wirtschaftlichen und sozialen Systeme hier greifen und wie die Politik das alles beeinflusst, das beantwortete die von „PEP“ angebotene Lesung an diesem Abend wort- und thematisch umfangreich: Autor Frank Herrmann hielt seinen Leseabend unter dem Titel seines gleichnamigen Buches „Der Mächtigen Zähmung – warum Konzerne klare Spielregeln brauchen“ vor einem kleinen, aber feinen Publikum ab.
Denn nur ein paar mehr als eine Handvoll, genauer gesagt, sieben (!) Zuhörer fanden den Weg zum Vortrag – schade, denn dieser vermittelte einige aufschlussreiche und spannende Aspekte für Einsichten in das heutige Leben und seine Zusammenhänge.
Lag es an dem Wochentag (Montag) oder daran, dass es gerade zwei Wochen vorher bereits eine gut besuchte Lesung in Kellinghusen gegeben hatte? Herausfinden konnte man das nicht. So hieß es dieses Mal einfach: neues Thema, neue Location. Und so kamen der Autor und sein kleines Publikum im „EineWelt Shop & Café“ im Gebäude der „Bibeku“ in Kellinghusen zusammen.
Hatte die vorherige Lesung den Teilnehmern noch einen kleinen Obulus abverlangt, so war der Eintritt an diesem Abend sozialerweise kostenlos. Umso bereichernder die Thesen des Autors: Selbstverpflichtungen globaler Konzerne reichen nicht aus, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu verhindern. Zwar zeigten kleine Unternehmen den Großen, dass Veränderungen machbar seien, doch auf dem Weg hin zu mehr globaler Gerechtigkeit sei etwa ein Lieferkettengesetz nur der Anfang, so seine These. Man müsse Unternehmen schon dazu verpflichten, bestimmte soziale und wirtschaftliche Standards einzuhalten und sie notfalls für Zuwiderhandlung auch zur Rechenschaft ziehen. Sonst ändere sich nichts. So schlug er einen großen Bogen vom Welthandel über mutinationale Unternehmen und lokale Produzenten bis hin zum Verbraucher.
Er lehnte dabei Freihandelsabkommen ebenso ab wie den uneingeschränkten Handel mit China wegen der bekannten Probleme von Menschenrechten und Korruption. Aber – und das machte zumindest etwas Hoffnung – es sei nicht alle schlecht, es gebe auch Lichtblicke. So lobte Herrmann die gute Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die mittlerweile die eigentlichen Aufgaben von Staaten und deren Regierungen übernommen hätten und zum „Public Eye“ („Öffentlicher Beobachter“) geworden sind. „Klimaklagen haben etwas geändert und bieten gute Chancen für Nachbesserungen, denn erstmals werden Firmen auf etwas Konkretes verpflichetet.“
Ärgerlich allerdings hier auch wieder die Gegenbewegungen, mit denen die Rechtsverletzer ihr Tun durchsetzen wollen durch etwa „SLAPP“-Klagen („Schlag-ins-Gesicht“-Klage), die von den Firmen in einer Vielzahl haltloser Klagen inszeniert werden, um beispielsweise den Einsatz von Pestiziden durchzudrücken.
Ziel müsse es laut dem Autor nun sein, für ein globales Gleichgewicht einen Paradigmenwechsel zu bewirken, Verbraucherinitiativen für mehr Mitbestimmung bei Herstellung, Verkauf und Preisgestaltung zu stärken und die Konzernmacht beschränken. Denn Transparenz bei Firmen sei oft nicht gegeben. Sie konnte nur durch Entflechtung oder Zerschlagung von Großfirmen gewährleistet werden, basierend auf dem amerikanischen „Sherman Trust Act“ von 1890, als bei der „Rockefeller Company“ aus einer dann 34 Einzelfirmen gemacht wurden.
Nur durch Gesetze wie dieses sei eine „Gemeinwohlökonomie“ herzustellen. So köntnen durch ein verpflichtendes Lieferkettengesetz mit Mindestlöhnen einheitlich und global „wahre“ Preise erzielt werden. Auch dies werde dann versucht, durch „Safe Harbor“-Gesetze („Sicherer Hafen“) wieder auszuhebeln, bei denen es für Firmen Sonderregelungen gebe, die sie aus der Verantwortung entlassen.
Interessen in Aktienunternehmen könnten aber durch die Bündelung von Initiativen auf der Hauptversammlung durchgesetzt oder die Bezahlung von Managern begrenzt werden sowie ein Lobbyregister die Einflüsse von Wirtschaftsunternehmen offen legen. Es sei noch nicht zu spät, es gebe noch ein Zeitfenster, auch wenn sich das langsam immer mehr schließe.
Beim Vortrag merkte der geneigte Zuhörer: Hier ist kein Laie am Werk. Denn Frank Herrmann hat bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht vom Einkaufsratgeber bis zum Reiseführer-Handbuch. Er wurde für seine Veröffentlichungen auch schon ausgezeichnet und er ist auf seinem Fachgebiet zu Hause.
Im April 2022 erst erschien sein aktuelles Buch, aus dem er an diesem Abend mehr vortrug, als zu lesen, was es einfacher machte, inhaltlich zu folgen. Die einzelnen Kapitel stellte er zusammenfassend vor, jeweils mit einer eigenen Bildpräsentation über eine große Leinwand ergänzt. Zu einigen Fragen las er dann Textpassagen aus dem Buch.
Expertise hat Frank Herrmann über seine bisherigen Veröffentlichungen allemal auch praktisch erworben, denn regelmäßig reist der Journalist in Länder des globalen Südens und nach Südeuropa, um sich vor Ort ein unabhängiges Bild über die Zustände zu machen und Material für seine Vortragsveranstaltungen zu sammeln. Von Beruf Betriebswirt, hat er viele Jahre in Mittel- und Südamerika gelebt, wo er unter anderem als Entwicklungsexperte und Reiseleiter tätig war, daher auch die Themen seiner Bücher. Inzwischen hält er bis zu 70 Vorträge im Jahr, also oft mehr als einen pro Woche.
Schade: Wegen des mangelnden Publikums entstand schließlich bis auf ein, zwei kleinere Fragen leider keine Diskussion zu dem Thema, obwohl es dazu einiges Interessantes zu sagen gegeben hätte – etwa, wie der einzelne trotz all der Informationen mit dem Dilemma aus niedrigen Preisen und hohen Standards umgehen soll oder ganz konkret, wie ein Leitfaden durchs Einkaufen aussehen könnte. Um dem wenigstens noch ein wenig Abhilfe zu schaffen, warf er eine ganze Anzahl an Websites an die Wand, die ein wenig Orientierung bieten können, wenn man sich die Mühe macht, diese auch zu besuchen. Eine Erkenntnis blieb an diesem Abend trotz allem: Nur so wenige Zuhörer hatte er wirklich nicht verdient. (lh)
Bildunterschrift:
Sein neues Buch „Der Mächtigen Zähmung – warum Konzerne klare Spielregeln brauchen“ stellte der Autor im „Eine-Welt-Café“ in der „Bibeku“ vor / Frank Herrmann schlug in seinem Vortrag einen weiten Bogen vom Welthandel über mutinationale Firmen und lokale Produzenten bis hin zum Verbraucher / Orientierungshilfe für die Besucher: Eine ganze Reihe Webseiten hilft beim Beurteilen von Einkauf und Gerechtigkeit – sofern man sich die Mühe macht, sie aufzusuchen.
Fotos: Ludger Hinz