Mittsommerstimmung auf dem Sportplatz: In Kellinghusen gab es an diesem Abend etwas ganz Anderes, als gemeinhin gewohnt. Eine Woche vor dem längsten Tag des Jahres ging es mit „PEP“ hinaus in die Natur.
An einem lauschigen Sommerabend, an dem die Sonne nur äußerst langsam am Horizont versank, aber auch noch eine leichte Brise blies, präsentierte der Kulturverein mit der Hamburger Sängerin „Miu“ (bürgerlich Nina Graf) den Platz 1 der aktuellen Soulcharts (innerhalb der deutschen Albumcharts). Und somit einen Hochkaräter (wenngleich dieser auch als solcher angekündigt werden musste).
Das konnte sich der Kulturverein leisten, da die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) mit Mitteln aus dem Programm „Neustart Kultur“ spendabel zeigte und das Ganze fremdfinanzierte. So trat „Miu“ hier Open Air im „Kultursommer 2022“ auf, in dem in und um Kellinghusen herum eine Woche lang zahlreiche Live-Acts präsentiert wurden. Und es auch dieses Konzert kostenlos für alle gab.
Hinter der Ulmenhofschule war draußen auf dem Sportplatz eine riesige Bühne aufgebaut – ein Anblick, an den sich der gemeine Kellinghusener Konzertgänger erst gewöhnen musste, da dieser beim sonst eher kleinerrahmigen „PEP“ nicht allzu häufig vorkommt.
Vor der Bühne hatten sich trotzdem etwa 150 Besucher im Sommermodus versammelt und wählten ihre Garderobe in T-Shirts und kurzen Hosen. Aber auch langes Beinkleid und Herbstjoppen waren vertreten wegen des später dann doch wieder einsetzenden kühlen Windes.
Die meisten standen, einige saßen auf aufgestellten Bänken, manche hatten sich im Gras auf Decke oder Gartenstuhl nieder gelassen, mussten aber auch bald wegen einsetzender Bodenkühle die Segel wieder streichen. In ein paar Buden aus Holz hatten sich die „PEP“-Freiwilligen hinter ihren Tresen zurück gezogen, von dem aus sie diverse Getränke überwiegend alkoholischer Natur verkauften.
Etwas verwirrend allerdings das Band- und Bühnendesign für die unbedarften Zuschauer. War der gemeinsame Musikgenuss in der untergehenden Abendsonne groß, so wirkte die Band auf der meterhohen Bühne eher klein.
Sängerin „Miu“ war in ein schwarzes, hoch geschlossenes Abendkleid und schwarze Strümpfe gehüllt. Die Band, ebenso ganz in Schwarz gekleidet, wurde vor der schwarzen Bühnenkulisse, die einzig mit dem weißen Schriftzug „Miu“ versehen war, eher verschluckt als hervor gehoben.
Einziger Farbtupfer: ein kleiner grüner 3D-Schriftzug mit ihrem Namen ganz vorne auf der Bühne, der aber auch nicht weiter auffiel. Schwierig wurde es auf diese Weise, den versprochenen typischen Sound der rauchigen Clubs der Motown Ära hier optisch wieder zu spiegeln.
Was auf Sicht also nicht recht funktionieren wollte, klappte dafür fürs Ohr umso besser. Umso kraftvoller nämlich ihre Stimme mit Charakter und der Sound ihrer Begleitband, die laut ihrer Ansage nicht nur den Schlagzeuger von Inga Rumpf, sondern auch ihren eigenen Lebensgefährten an der Gitarre beherbergte.
Dass „Miu“ sich und ihre musikalische Karriere überwiegend selbst managt, kam vor allem in ihren Ansagen zwischen den Songs zum Ausdruck. Denn da pflegte die aufstrebende Hamburger Sängerin die eher vergnügliche Form der musikalischen Abendunterhaltung, die mal heiter, mal auch nachdenklich, aber unterschwelling betont eigenmotiviert erschien.
Die sacht-scharfzüngige Sängerin setzte zwischen den Songs immer wieder zu kleinen Plauderstündchen am Mikro an, erzählte von Motivationen und Zustandekommen ihrer Songs. Im nicht zu knappen musikalischen Teil besang sie Situationen aus dem Alltag, die ins Sozialkritische, zeitweise auch Politische hinein reichten. Und somit nicht nur dem leichten, sondern auch dem ernsten Teil des Lebens gerecht zu werden suchten.
Im Motown-Stück „It’s a trap“ etwa haderte sie mit dem vermeintlichen Erwachsensein. Mit der Ballade „The reminder“ rief sie dazu auf, die schlimmste menschlichen Gräueltaten der Geschichte nicht umzudeuten – und auch nicht in die aktuelle Coronadebatte einzubringen. Im Song „Be the bigger person“ hingegen ging es um verpasste Momente im Leben, in denen man oft nichts sage, „wenn man es eigentlich sollte.“ Für ihre zeitkritischen Bemerkungen erntete sie immer wieder Szenenapplaus vom mittlerweile verzückten Publikum.
So waren schließlich nicht nur die unbedarften Zuhörer von dem Gehörten, sondern auch die Damen hinter den Budentresen mit dem Erreichten zufrieden. „Wir hatten großen Andrang.“ (lh)
Bilder: © Rainer Werdt